Mein Fünfjähriger hat neulich zu mir gesagt: „Mama, Du nimmst Dein Handy überall hin mit!“. „Oha!“, habe ich gedacht und mich ertappt gefühlt. Denn er hat natürlich Recht. Und seine Beobachtung (die er noch nicht einmal vorwurfsvoll mit mir geteilt hat) hat mich zum Nachdenken gebracht. Er hat mich zum Innehalten gebracht und zum Überprüfen, wo ich bezüglich der Smartphone-Nutzung aktuell stehe. Und ob ich meinem eigenen Anspruch gerecht werde oder ob sich Gewohnheiten eingeschlichen haben, die ich nicht haben möchte.
Das erste Ergebnis meiner Reflexion war eine ernüchternde Standortbestimmung: Ich nehme das Smartphone mit, wenn ich mittags mit dem Hund gehe – der Kindergarten könnte ja anrufen und eine neue Platzwunde melden. Ich nehme das Smartphone mit, wenn ich den scharfsinnigen Mama-Beobachter dann aus dem Kindergarten abhole – die Große könnte ja anrufen und zu Hause in eine Not geraten sein, die keine zwanzig Minuten warten kann. Ich nehme das Smartphone mit, wenn ich die Kinder zum Sportplatz bringe – es könnten Abstimmungen mit anderen Eltern praktisch sein. Ich nehme das Smartphone mit, wenn wir in den Garten gehen – mein Mann könnte sich vom Heimweg melden oder meine Freundin, … Ich nehme das Smartphone mit.
Im nächsten Schritt meiner Überprüfung muss ich mir eingestehen, dass ich mittags mit dem Hund auch immer wieder Nachrichten auf dem Smartphone schreibe oder meinen Social Media Account checke. Ich muss zugegeben, dass ich gestern auf dem Sportplatz auch Mails gelesen und beantwortet habe und im Garten gerne mal vom Smartphone-Stöckchen zum Smartphone-Steinchen komme und Fotos sichte, die (mit meinem Mann geteilte) Einkaufsliste aktualisiere, etwas recherchiere, … Ich stelle fest, dass zwischen meinen vordergründigen Erklärungen (s. Notfälle und Abstimmung) und meinen tatsächlichen Handlungen ein Unterschied besteht. Und ich spüre, dass ich als Vorbild in Sachen Smartphone-Nutzung meine täglichen Handlungen wieder etwas mehr an meine eigentliche Intention anpassen möchte.
Ja, ich habe mein Smartphone längst als Verlängerung meines Körpers und Ergänzung meines Gehirns integriert. Es kann sich Dinge einfach besser merken (Einkaufslisten, Geburtstage, Termine). Es gleicht meine Geographie- und Navigationsschwäche wunderbar aus. Und ich kann über mein Smartphone mit zehn anderen Menschen gleichzeitig Nachrichten austauschen. Ich denke, es wird nicht mehr lange dauern, da werden wir über die Phase des Smartphones in der Tasche oder im Klettband am Arm hinweg sein, und es wirklich fest in unseren Körpern integriert haben. Und wenn wir über die reflexartige Abneigung hinwegschauen, die wir Menschen heute noch dagegen haben, werden die meisten von uns vermutlich zu der Erkenntnis kommen, dass es dann um so mehr um die Frage geht, wie wir diese technische und gesellschaftliche Weiterentwicklung nutzen und mitgestalten wollen.
Wie gehen wir damit um?
Wir können uns treiben lassen im reißenden Strom der Digitalisierung und die Geräte kaufen, die um uns herum gekauft werden und die Apps nutzen, die um uns herum genutzt werden. Unser Gehirn akzeptiert diese Strategie schnell, denn es mag Mehrheiten, Schubladen, Routinen und Gewohnheiten. Die suggerieren Sicherheit. Tatsächlich aber kann man als Individuum mit dieser Taktik leicht den Boden unter den Füßen und die Kontrolle verlieren. Willenlos brausen wir dann prustend und nach Luft ringend durch die gefährlichsten Stromschnellen der Entwicklung.
Wir können auch dagegen anschwimmen und versuchen, einfach nicht mitzumachen. Wir können vehement die Nutzung bestimmter Geräte oder Apps ablehnen oder – auch für unsere Kinder – strenge Verbotsregeln aufstellen. Das ist sicher besonders für Kinder in Teilen wichtig. Aber es kostet viel Kraft und hält den Strom der digitalen Entwicklung nicht auf. Und darum geht es am Ende wohl auch gar nicht.
Auch für mich persönlich gefällt mir eine dritte Möglichkeit am besten: Wir schwimmen Alle in dem breiten, teilweise sehr schnellen Strom unserer gesellschaftlichen und technischen Entwicklung. Das war schon für unsere Vorfahren und deren Vorfahren nicht anders. Ich für meinen Teil suche mir meinen Weg im Strom allerdings gerne selbst. Ich will selbst bestimmen, ob ich mitten durch die gefährlichen Stromschnellen schwimme, denen ich vielleicht gar nicht gewachsen bin und die mich mitreißen und mir die Steuerungsfähigkeit nehmen, oder ob ich in seichterem Wasser schwimme. Ich will so unterwegs sein, dass ich die Möglichkeit habe, mich immer wieder am Ufer kurz auszuruhen oder mich zu orientieren, ob ich noch auf Kurs bin. Ich verschaffe mir gern zwischendurch einen Überblick, halte inne (Danke an meinen Sohn!) und hebe den Kopf aus dem Wasser, um zu schauen, wie ich am besten dorthin komme, wo ich hin will.
Das setzt natürlich voraus, dass ich meinen Kurs kenne. Ich muss eine Vorstellung davon haben, wie ich meine Route gestalten möchte, was ich unterwegs sehen und tun möchte, wer mir als Mitschwimmer wichtig ist – bevor die Metapher aber hier über das bildliche Ufer tritt, werde ich lieber wieder ganz konkret:
Was sind die Dinge, die Dir heute wichtig sind? Kann Dein Smartphone Dir dabei helfen? Nein, kann es nicht? Dann lege es zurück und schalte Dein Gehirn ein, um zu überlegen, was Du brauchst. Benutze das Smartphone nicht als Ablenkung, wenn die Lösung nicht sofort auf der Hand liegt sondern vielleicht etwas Nachdenken erfordert. Ja, Dein Smartphone kann Dir bei dem helfen, was Dir heute wichtig ist? Dann entscheide bewusst, wie genau Du es nutzen willst?
Mit wem möchtest Du heute im Austausch sein? Brauchst Du Dein Smartphone dafür? Ja? Wofür genau? Um eine Zeit für ein Treffen zu vereinbaren? Oder reichen Dir heute ein paar Zeilen über WhatsApp?
Das Smartphone ist Dein Hilfsmittel. Es ist sehr praktisch, beantwortet Dir alle Wissensfragen, vernetzt Dich mit der ganzen Welt, hält Dich auf dem Laufenden, unterhält Dich, hilft Dir Dein Leben zu managen, lässt Dich von überall aus shoppen, … ja, es hilft Dir sogar beim Atmen – wenn Du das möchtest! Mach Dich nicht zum Sklaven Deines Smartphones, sondern sei der Boss! Setze es gezielt ein und genieße die technischen Errungenschaften. Aber bitte schalte Dein Smartbrain (aka „menschliches Gehirn“) nicht aus, sondern gib ihm bewusst die Aufgabe, das Smartphone klug und in Deinem Sinne zu nutzen.
Du bist der Boss!
Dein Gehirn ist Dein natürliches Werkzeug und Dein Smartphone ist die Erweiterung Deines Werkzeugkastens.
P.S.: Ich gehe nachher mit den Kids in den Garten und nehme das Handy mit. Ich will den Anruf einer Freundin nicht verpassen, und ich will googeln, wie ich verhindern kann, dass unsere schönen Äpfel am Baum verfaulen bevor sie reif werden. Aber bis ich es dafür benutze, liegt es auf dem Tisch. Und ich schaue den Kids am Bach zu.
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