Es ist wirklich viel, was unsere Aufmerksamkeit verlangt.
Im Job ist das Projekt in der heißen Phase, die Monatszahlen müssen abgegeben werden und die Geschäftsführung will eine neue Kundengewinnungsstrategie getestet haben. Die Kollegin braucht Unterstützung und zu Hause geht auch nichts ohne uns. Abends sind alle durch den Wind und unsere Geduld und unser Organisationstalent wird genau so gebraucht, um den Tag beendet zu kriegen, wie unsere Mediationsfähigkeiten. Wir mobilisieren unsere letzten Kräfte und schauen, dass es Allen gut geht und Alle haben, was sie brauchen.
Dann ist es 22:00 Uhr und wir hängen auf dem Sofa – unfähig auch nur noch einen klaren Gedanken zu fassen. Natürlich ist es zu spät für Sport, zu spät für ein gutes Buch und überhaupt zu spät, um noch irgendetwas anzufangen. „Wenn die Woche rum ist und am Wochenende alles erledigt ist, dann mache ich mal Pause. Dann suche ich meine Laufschuhe und bestelle mir ein gutes Buch.“
Nur leider kommt es dazu nie.
Da sind diese leisen Stimmen in Deinem Kopf, die Dir einflüstern: „Keine Schwäche zeigen! Du musst das alleine schaffen! Alles ist wichtig! Du willst die anderen nicht enttäuschen!“ Deshalb kümmerst Du Dich um Alle und Alles und fällst immer wieder selbst hinten runter. Das ist auf den ersten Blick ehrenwert. Aber – mal ehrlich – ist das auch nachhaltig?
Das eingänglichste Bild, das diese Denkfalle entlarvt, ist für mich die Sauerstoffmaske im Flugzeug. Sehr betont weisen die Flugbegleitungen immer darauf hin, zuerst sich selbst die herabfallende Maske aufzusetzen und erst dann hilfsbedürftigen Personen zu helfen. Logisch! Wenn wir selbst ohnmächtig vor Sauerstoffmangel geworden sind, sind wir niemandem mehr eine Hilfe.
Ich höre von meinen Klienten oft, dass sie das Gefühl haben unterzugehen oder nicht mehr ausreichend Luft zu kriegen. Kennst Du das Gefühl? Da heißt es ganz eindeutig: "Safety First" und sich selbst die Sauerstoffmaske anlegen. Weil Deine eigenen Akkus aufgeladen werden müssen. Jetzt! Sofort! Nicht erst wenn noch Dieses erledigt ist und dann noch Jenes! So wie Du Dich um Alles und Alle sorgst, darfst Du auch für Dich selbst sorgen! Du darfst auch Pause machen und um Unterstützung bitten. Das hat nichts mit Schwäche oder Egoismus zu tun. Das hat mit zwischenmenschlichen Beziehungen, Mitgefühl (auch für Dich selbst) und gemeinsamer Verantwortung zu tun.
Aber es beginnt bei Dir. Übernimm Verantwortung für Dich selbst. Und horche in Dich hinein, was Deine Akkus auflädt. Was ist Dein Sauerstoff? Brauchst Du Sport und Bewegung? Ein gutes Buch? Zeit mit Freunden? Eine kulturelle Unternehmung? Zeit in der Natur? Und dann nimm eine Nase davon. Du kannst klein anfangen und in der Mittagspause zwanzig Minuten spazieren gehen oder abends ein Kapitel in einem Buch lesen statt die Wäsche zu machen. Es gibt viele kleine Chancen jeden Tag. Nutze sie. Und wenn Du es zu Beginn nur tust, um ein Versprechen an Dich selbst einzuhalten. Du wirst überrascht sein, was entsteht, wenn schon kurze Erholungsphasen Dir den Blick freier machen.
Probiere es aus. Lass mal gut sein und mal locker. Und atme Deinen Sauerstoff.
… und für diejenigen unter Euch, die jetzt sagen: "Ja, wirklich. Ich brauche Erholung. Ich buche jetzt die Woche Wellness im April!" - das ist gut. Macht das unbedingt! Größere kleinere Auszeiten sind fantastisch. Aber wir sind keine Nilpferde, die auch mal 30 Minuten lang ohne Sauerstoff unter Wasser bleiben können. Wir Menschen atmen ungefähr 16 mal in der Minute. Das heißt, unser Sauerstoff, unsere Entspannung gehört auch in kleinen Einheiten in unseren täglichen Alltag.
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