Er: "Wie geht's Dir?"
Darauf Du: "Ach, ist halt viel los, was soll ich sagen?"
Er: "Wann sehen wir uns denn mal wieder?"
Du: "Oh, also die nächsten Wochen sind total voll. Wie wäre es übernächsten Monat?"
Ist Dir schon mal aufgefallen, wie oft diese zwei harmlosen Fragen so oder ähnlich beantwortet werden? Was ist da los? An welchem Wahnsinn kratzen wir da täglich? Ein Rückblick...
05:45 Uhr aufstehen, um die Haare glatt und die Wimpern getuscht zu haben, bevor die Kinder geweckt werden müssen - selbstverständlich höchst liebevoll und sanft. Aber ohne mich einfach dazuplumpsen zu lassen. Der Biorhythmus knirscht und ächzt, aber für morgendliche Willenskraft und Disziplin applaudiert mir niemand.
Genau so wenig wie für die Geduld, die morgens leider nicht so ausgeprägt ist wie meine Augenringe. So sind es gute Morgende, an denen ich jedes Kind nur einmal anmotze, weil es sich über das Licht im Bad, eine kratzige Unterhose oder grundsätzlich über die Erwartung beschwert, dass der Tag zu beginnen ist.
07:00 Uhr Familienfrühstück mit vier unterschiedlichen Essgeschwindigkeit, wachen Reflexen für kippende Milchgläser, zu füllenden Brotboxen, Austausch der wichtigsten logistischen Marschbefehle für den Tag mit dem Mann, mit dem ich mich auch eigentliche gerne mal wieder unterhalten würde, und der Frage nach dem Putzen der Kinderzähne: Ist das ein Wasserfleck auf meiner Bluse? Oder wird er bis zum Meeting mit dem Business Partner als Zahnpasta-Fleck angetrocknet sein?
07:30 Uhr im Kindergarten verliert meine Perlonstrumpfhose den kurzen Kontaktkampf mit dem Klettverschluß an der Jacke meines Sohnes. Ich brauche zehn Extra-Minuten für einen Umweg über die heimische Kommode und Austausch der Strumpfhose.
07:40 Uhr Die Fahrt ins Büro ist die einzige Zeit des Tages, in der ich alleine bin. Ist ja klar, dass ich die voll und ganz der Arbeit widme. Wenn ich mich nicht in eine Telefonkonferenz einwähle, telefoniere ich mit den Team-Leitern, um zu besprechen, was der Tag bringt. So bin ich schon im Büro, bevor ich tatsächlich im Büro bin. Mein Gehirn und meine Gedanken sind eine gute halbe Stunde schneller als ich. Wie effizient.
Nur blöd, dass ich auch mit dem Auto schneller bin. Schneller als erlaubt in diesem Fall und dokumentiert durch eine Radarfalle. Fünfzig zu schnell. Damit ist der Lappen dann mal eben weg. Mist. Dabei war ich doch insgeheim sogar stolz darauf, wie schnell ich fahre. Da konnte ich meinem Gefühl, immer zu wenig Zeit zu haben, wenigstens mit Aktion und sichtbarer Geschwindigkeit begegnen.
Ist das in Ordnung? Ist das cool? Ist das mein Bungee Jumping? Mein Cliff Diving? Na, das wäre ja noch schöner! Schon allein, weil sich dann die Frage stellen würde, was ich wohl für einen echten Adrenalin Kick tun müsste. Vielleicht mal wieder richtig schlafen. Aber schlafen... tun wir später.
Die Indizien häufen sich, dass das nicht cool ist. Und da meine ich jetzt nicht die Augenringe und die grauen Haare. Da rede ich von Studien und wissenschaftlichen Erkenntnissen, die bewiesen haben, dass ausreichend Schlaf, kleine Pausen zwischendurch und regelmäßige Entspannung uns sogar ermöglichen würden, noch besser zu sein. Leistungssportlern ist das Konzept von der Balance zwischen Leistung und Regeneration vertrauter als uns Büro-Sportlern. Wobei auch wir natürlich die Logik dahinter verstehen und uns auch zwischendurch immer wieder vornehmen "jetzt aber wirklich mal früher ins Bett zu gehen" und auch endlich mal wieder die Laufschuhe anzuziehen. Das Hamsterrad dreht sich aber so schnell, dass wir nicht rauskommen und nicht anders können, als darin zu rennen und zu rennen.
Und jetzt ist auch noch Weihnachten. Auch das noch! Wir wünschen uns gegenseitig eine schöne Adventszeit und besinnliche Feiertage. Wir träumen von Kerzenschein und Zeit mit unseren Lieben. Wir sprechen von Gemütlichkeit und dekorieren unsere Wohnzimmer kuschelig. Das ist gut so und richtig. Wie sich auch die Tiere und Pflanzen draußen zurückziehen und Ruhe suchen, um Kraft für das Frühjahr zu schöpfen, so täte es uns Menschen gut, die Weihnachtszeit zum Innehalten zu nutzen.
Aber wir haben Deadlines und abzuschließende Projekte, wir planen Weihnachtsfeier an Weihnachtsfeier, wollen uns mit Allen zum Glühwein treffen, Plätzchen backen und - ach ja! - Geschenke brauchen wir auch noch in großen Mengen.
Was peitscht uns so an? Warum ist es so schwer, sich Zeit für Erholung zu nehmen?
Und was würden wir mit neuer, aus Erholung geschöpfter Kraft machen?
Was würdest Du machen?
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